Als eine der ersten Abteilungen in Unternehmen wird das Rechnungswesen vollständig digitalisiert. Die E-Rechnung ist dabei das Kernelement. Im Interview zeigen unsere
Experten, welche Vorteile Unternehmen dadurch gewinnen und welche Hürden gemeistert werden müssen.

Was ist genau genommen eine E-Rechnung?

Janssen: Eine E-Rechnung ist mehr als nur eine Rechnung, die nicht mehr ausgedruckt und nur als PDF vorliegt. Vielmehr sind in echten E-Rechnungen Datensätze hinterlegt, so dass diese direkt elektronisch verarbeitet werden können. Bei einer E-Rechnung sind dies mindestens 32 Datenelemente wie Kopfdaten, Rechnungsbetrag, Steuernummer etc. Eine E-Rechnung kann aber auch alle Artikelpositionen umfassen, die z.B. für die Vertrags-und Konditionenkontrolle wichtig sind. Der Empfänger kann die Daten dann vollautomatisiert verarbeiten. Durch den automatischen Abgleich mit der Bestellung und dem Wareneingang kann der übliche manuelle Freigabeprozess weitestgehend dem Algorithmus überlassen werden. Die Rechnung muss nicht mehr händisch abgezeichnet, eingescannt und abgelegt werden. Manuelle Eingriffe durch Mitarbeiter sind nur dann erforderlich, wenn beim automatischen Abgleich Differenzen festgestellt werden.

Kuypers: Aber auch der Sender der E-Rechnung hat Vorteile, da das Drucken und der Postversand inklusive der damit einhergehenden Material-, Maschinen- und Personalkosten deutlich reduziert werden.

Wieso steigt die Bedeutung für E-Rechnungen?

Kuypers: In großen Unternehmen sind eingehende E-Rechnungen bereits zunehmend Standard und werden auch von deren Dienstleistern und Zulieferern gefordert. Die klassische Papier-Rechnung wird in absehbarer Zeit zum teuren Auslaufmodell werden. Unternehmen, die in der nahen Zukunft nicht in der Lage sind, echte E-Rechnungen zu erzeugen, müssen für den Auftraggeber schon eine bedeutsame strategische Wichtigkeit haben, damit dieser die Mehrkosten für die manuelle Bearbeitung in Kauf nimmt. Ziel ist in den meisten Unternehmen, dass 70-80 Prozent der Lieferanten angebunden werden – der Rest wird je nach Wichtigkeit oder Austauschbarkeit gegebenenfalls substituiert.

Janssen: Ganz besonders wichtig sind E-Rechnungen für Unternehmen, die für öffentliche Auftraggeber tätig sind. Seit 2014 gibt es in der EU Vorgaben, die die Fähigkeit für den Empfang von E-Rechnungen für öffentliche Auftraggeber vorschreiben – ursprünglich zur Vermeidung von Steuerhinterziehung. Ab dem 27. November 2018 wird dieses als nationales Recht in Deutschland übernommen. In Österreich besteht diese Pflicht bereits. 

Wo liegen die Vorteile für Unternehmen?

Kuypers: Der Vorteil liegt klar in der Verschlankung der Prozesse. Viele manuelle Schritte fallen weg bei der automatischen Verarbeitung von Eingangsrechnungen. Das senkt Kosten und erhöht die Arbeitsgeschwindigkeit. Die Bearbeitung einer klassischen Eingangsrechnung dauert vom Eingang bis zur fertigen Verbuchung inkl. aller Abgleiche und Prüfschritte nicht selten bis zu 35 Tage – mit einer E-Rechnung kann dieser Prozess innerhalb von maximal drei Tagen erfolgen – ganz ohne Kontrollverlust. Wenn der Beschaffungsvorgang bereits genehmigt ist, ist die nochmalige Genehmigung der Rechnung faktisch überflüssig. Der automatische Abgleich der Eingangsrechnung mit Bestellung und Lieferschein führt zudem zu einer deutlich geringeren Fehlerquote und zum Aufspüren des sogenannten „Maverick Spend“ – dem Einkauf von Mitarbeitern an den Einkaufsprozessen und Regeln vorbei.

Janssen: Unternehmen haben durch den Zeitgewinn erstens die Möglichkeit, Skonti zu ziehen, was sonst aufgrund der Prozesslänge noch nicht einmal annähernd in Reichweite gelegen hätte. Zweitens wird mit der E-Rechnung die Zahl der im Jahr verarbeiteten Rechnungen pro Kreditorenbuchalter im Schnitt verzehnfacht, da die Arbeitszeit von manuellen Eingaben und Kontrollen physischer Rechnungen entlastet wird.

Kuypers: Ohne Zweifel führt die Entlastung der Mitarbeiter auch zu Unsicherheiten und Sorgen um die Arbeitsplätze bei den Betroffenen. In diesem Punkt haben die Arbeitgeber die Chance, die Mitarbeiter konstruktiv und proaktiv in anderen vakanten administrativen Positionen zu beschäftigen oder die Position durch neue Aufgaben anzureichern.

Wieso haben viele Mittelständler die E-Rechnung noch nicht eingeführt und wo liegen die größten Hürden?

Janssen: In der Regel kann die technische und organisatorische Umsetzung nicht ohne Weiteres personell in Angriff genommen werden, da schlichtweg kein Personal zur Verfügung steht, um ein solches Projekt zu stemmen.

Kuypers: Technisch sind die Hürden gar nicht so groß. Es gibt zwar eine Vielzahl von E-Formaten und Anbietern von add-on-Lösungen – die meisten Systeme sind aber flexibel und bieten alle notwendigen Schnittstellen zu den bestehenden Systemen. Zur Auswahl der besten Lösung ist natürlich einiges an Vorarbeit erforderlich. Die gute Nachricht ist, dass kein massiver Eingriff in bestehende IT-Umgebungen und keine großen Investitionen in die IT erforderlich sind.

Janssen: Ein viel wichtigerer Schmerzpunkt ist die kommunikative Herausforderung für die Unternehmen. Wenn durch die Einführung der E-Rechnung die Prozesse zu 90 Prozent verschlankt werden, hat das direkte Auswirkungen auf das Personal. Dieser Veränderungsprozess muss gemanagt werden. Geschieht dies nicht, wird sich das negativ auf die Arbeitsatmosphäre auswirken, was nicht unbedingt nur auf die Buchhaltung beschränkt bleibt. Dass bisher nur rund 25 Prozent der klassischen Mittelständler auf eingehende (und ausgehende) E-Rechnungen umgestellt haben, kann auch hierin begründet sein.

Wo liegen die Trends für die Zukunft?

Kuypers: Ganz klar wird die RPA – die Robotic Process Automatization – rasant zunehmen. Die E-Rechnung bezieht sich ja „nur“ auf die Digitalisierung der eingehenden und ausgehenden Rechnungsverarbeitung. Gerade in großen Unternehmen ist der gesamte Prozess von der Bedarfsanforderung, Autorisierung, Bestellung, Wareneingang über die Eingangsrechnung bis hin zur Zahlung und Archivierung vollständig digitalisiert. Unternehmen, die das bereits umsetzen, haben einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Dies wird gerade vor dem Hintergrund immer wichtiger, dass nicht wertschöpfende Tätigkeiten wegfallen und Mitarbeiter und Facharbeiter effektiver eingesetzt werden können.

Janssen: Es gibt keine „go“ oder „no-go“ Entscheidung – sondern nur die Frage, wie lange die Unternehmen auf die Vorteile verzichten wollen.

Die Experten:

Bert Kuypers verfügt über langjährige Managementerfahrung in diversen Bereichen der IT-Branche auf internationaler Ebene. Er ist seit 2007 tätig bei Expense Reduction Analysts und hat seit dem über 100 Projekten im Bereich Druck, Mailmanagement und Dokumentenmanagement erfolgreich umgesetzt.

Ilona Janssen arbeitet seit 2008 bei ExpenseReduction Analysts. Die ehemalige Finance Managerin und Group Controllerin bringt ihre Erfahrung aus verschiedenen Branchen mit in Projekte ein und hat seit 2008 über 120 Projekte bei vor allem mittelständischen Unternehmen implementiert